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Wurmloch Nr. 02

Willkommen unter Würmern! Der erste Podcast, der die Ebenen sprengt. Erweitere deine visuelle Dimension, indem du dir Wurmloch Nr. 02 auf deiner Lieblings-Podcast-Plattform anhörst. Gute Reise!




 

Das Facettenauge.

Die Anleitung für das Große steckt im Kleinen.


Es gibt Momente, da schmunzeln wir zusammen – das Universum und ich. Meistens im Feinen, da ich im Groben öfter vergesse, wie überwältigend die Existenz ist. Wenn ich aber ruhig bin, bemerke ich es, die flüsternden Botschaften und wir schmunzeln zusammen.


Gestern war so ein Moment, als sich der Zufall nicht logisch einordnen lies und es wahrscheinlicher war, dass etwas zu mir sprach, auf sehr merkwürdige Weise. Ich wollte mich ablenken, pausieren von den schwindelerregenden Karussellfahrten der Gedanken und kramte den alten Rekorder mit den verstaubten Kinderkassetten hervor. Wahllos griff ich nach einer Himmelblauen und war gespannt, was der sprechende Elefant erleben würde. Da gibts Unmengen an absurden Geschichten, wie beispielsweise die Entdeckung von Zuckerbergen auf dem Mond - ja ein Elefant fliegt zum Mond und trifft dort Professor Dr. Haberknoll oder so ähnlich, die dort oben fröhlich lebt und sich von Zucker ernährt – ohne Karies natürlich. Oder kennst du die, als ihm eine Fee die Lottozahlen „1 2 3 4 5 mit der Zusatzzahl 6“ einflüstert und er knallhart den Jackpot knackt. Haben die gekifft beim Schreiben?

Kassette einlegen. Wie war das nochmal mit dem Anfang? Vor- oder Zurückspulen? Ah so gehts. Warten bis das Band aus dem Gleichgewicht gerät. Eine Spule wird immer dicker, während sich das braun glänzende Band aufwickelt. Klick. Dann den Play-Knopf drücken. Die Erinnerungen glasklar, die Kindheit wieder greifbar: das Wohlfühlen, die mit Geborgenheit getränkten Ohrstöpsel und für eine Weile war alles andere stumm.


Doch bereits nach den ersten Minuten wurde mir klar, dass es sich um eine ungewöhnliche Folge handelte. Anstatt der bunten, voller Bienchen summenden Welt, kämpft Benjamin mit Depressionen. Der erste Gedanke, der sich in die Wohlfühlblase schlich, war, dass dieses Thema heute nicht mehr in Kindergeschichten so brutal realistisch behandelt werden würde. Alles ist überpädagogisiert – ein faltenloser Elefant. Ich suchte nach dem Veröffentlichungsdatum und … die Folge ist von 1984. HA! 1984. George Orwell lässt grüßen, oder wat? Die Fantasiefigur für Kleinkinder, die sonst so leichtfüßig durch das Leben streicht, stellt plötzlich das Sein infrage und wird unerträglich schwer. Warum essen, wenn sich alles nur wiederholt? Warum bewegen, wenn alles sinnlos ist? Er verkriecht sich im Heu und will einfach seine Ruhe. Lethargie Blümchen. Kenne ich. Zu gut sogar, deshalb der Wunsch nach Ablenkung durch das Eintauchen in eine fröhliche oder zumindest andere Welt. Doch der Fluchtversuch blieb mir verwehrt. Einer dieser schmunzelnden Momente, diesmal durchtränkt mit Sarkasmus.


Ignoranz war nicht mehr möglich, vor allem dann nicht, wenn du empfänglich bist. Ich denke, depressive Menschen sind meist auf Empfangen eingestellt, da sie das Symptom eines kranken kollektiven Zusammenlebens spüren und zu Suchenden werden. Nach Botschaften, die dir diese verstörend schöne Erde durch die Trauer sendet. Und dann ist auf den Tonbändern der Zeit ein depressiver Elefant. Zufall?

Nun gut, Benjamins Freund Otto und Wärter Karl reagieren der Situation entsprechend und fordern: „Komm Benjamin, sei lieb und werde wieder fröhlich!“. Lieb sein. Amüsant. Lieb sein! Zwei Worte, die die gesamte Absurdität umreißen. Sei lieb und störe nicht, nicht zu auffällig traurig sein, lauf wieder mit, zwo drei vier, haltet Trab, zwo drei vier, wenn die Frühpatrouille naht! …da da dap da da da da dap da da törööö! Wenn die Frühpatrouille naht, wenn die Frühpatrouille naht… Dabei sollten sie rufen: „Hopp, Hopp lieber Freund! Die Zeit ist reif, um herauszufinden, was nicht stimmt. Auch wenn es hart wird, sogar wenn wir es sind, die nicht mehr in dein Leben passen, darfst du einen neuen Weg einschlagen. Brauchst du wirklich diese innere Qual, um spüren zu können, dass du noch lebendig bist? Sei nicht lieb, sei radikal, wenn du dich an der Schärfe deiner Reflexion zu schneiden beginnst.“. (seufzt) Aber die Beiden sind maßlos überfordert und werfen Benjamin stattdessen vor unfreundlich zu sein.

Im Laufe der Geschichte versuchen dann doch alle den Grund für Benjamins Leid herauszufinden. Nach einigem Hin und Her erfahren sie, dass er sich hässlich findet. Er blickt in den Spiegel und möchte ein anderes Tier sein. Ein Pfau oder eine Kuh. Ein Tier empfindet sich also als hässlich. Komisch? Nein, ein vermenschlichtes Tier empfindet sich als hässlich. Tiere können sich im Spiegel erkennen, durchaus, wie Affen oder Delphine, aber ich glaube kaum, dass sich einer denkt: „Boah ey, wie Scheiße sehe ich heute wieder aus?“.- Vielleicht ist das der gravierende Unterschied zwischen Mensch und Tier: Wir Menschen sind nicht nur fixiert auf unser Äußeres, sondern empfinden es oft als beschämend, so abgrundtief beschämend, dass wir depressiv werden, uns wünschen, wir sehen aus wie ein anderer Mensch oder wie eine andere Spezies aus Plastik. Viele versuchen sogar diskret zu verschleiern, dass täglich Exkremente aus uns heraus kommen – ach, was sage ich, dass sie überhaupt in ihrem Leben »Groß müssen«.

Wir wünschen uns nicht nur das Aussehen eines anderen Menschen, mit schönerer Haut, Haaren oder was auch immer, sondern auch verdauungslos zu sein. Makellos. Kein Wunder, dass ein Filter generiertes, überfotografiertes Leben so viel Anklang findet. Schönheit scheint immer weniger mit Persönlichkeit und immer mehr mit Fotokompatibilität zu tun zu haben. Aber jetzt dreht sich das Gedankenkarussell wieder zu schnell, auch 1984 wurde eine Geschichte geschrieben, in der sich die Hauptfigur brutal abstoßend findet. Also ist es doch etwas zutiefst Menschliches. Oder kulturell bedingt? Eine Kultur, die sich immer mehr zuzuspitzen scheint.


Aber zurück zur Kassette. Was wohl die Pointe sein wird? Das Ende ist überraschend schön und lies mich in eine Art melancholische Watte versinken. Benjamin bekommt von einer Freundin folgende Botschaft: Denkst du, wenn du nicht genau so sein solltest, wie du bist, dann wärst du überhaupt auf der Welt?


Klack. Die Kassette war zu Ende. Die Geschichte haftet seitdem an meinen Gedanken. Was will mir das Universum sagen?


Jetzt stehe ich vor dem Spiegel und betrachte mich genau. So ähnlich, wie Benjamin das wohl auch getan hat. Vielleicht komme ich so der Botschaft auf die Schliche. Die Falten auf der Stirn, das unliebsame Haar, der schiefe Zahn unten rechts, dieses treue Gesicht, dass mich jeden Morgen begrüßt, zerknautscht und manchmal noch betrunken. Vom Schlaf oder von nächtlichen Getränken. Bin das ich oder meine Hülle? Wenn mich die Welt genauso formen wollte, was hat sie sich dabei gedacht? „Mein Körper ist nicht chic sondern Schikane“, denke ich salopp und verstehe nicht im geringsten, wie das Wunderwerk an Zusammenarbeit in meinem Körper funktioniert.

 

FRAU: Hallo! Hallo? Spiegel, antworte mir, bin das ich oder ist das meine Hülle?


SPIEGEL: SI SE NON NOVERIT!

FRAU: AHH Wer ist da? Ich hab doch abgesperrt?


SPIEGEL: Hier, hallo, da wo du die ganze Zeit reinschaust? Du hast mich gerufen. Hier bin ich!


FRAU: Was? Was ist jetzt los? Ich halluziniere…


SPIEGEL: Nein, tust du nicht. Ich offenbare mich dir! Ich kann verstehen, wenn das schwierig für dich ist, aber manchmal verschiebt sich etwas in der Sphäre und dann …


FRAU: Okay, toller Scherz. Ist da irgendwo eine Kamera? Hey, das geht gar nicht, das ist meine Privatsphäre, Hallo??!!! Es reicht, okay!


SPIEGEL: AHA, die Technologie. Anstatt sich sicher zu fühlen, wisst ihr gar nicht mehr wohin mit eurer Einsamkeit. Aber gut. Ihr seid auch eine schräge Generation…..und ich dachte Narziss wird’s verändern, aber mich überrascht nichts mehr, viel zu viel gesehen.

FRAU: Narziss? Was? (Hyperventiliert) Tüte… einfach in eine Tüte atmen… wie war das noch mal….. Co2 Narkose… Ich brauche Kohlenstoff… di…Oxid….


SPIEGEL: Ja, genau Ovid, Narziss, bei euch bekannt durch die Metamorphosen von Ovid!


FRAU: (atmet in die Tüte) Was???!!


SPIEGEL: Ganz ruhig, alles gut! Ohhhhje, vielleicht war ich doch zu stürmisch. Okay, äähm, Sibylle richtig?

FRAU: (aus der Tüte) Billie


S: Gut, dann Billie. Kannst du dich noch daran erinnern, wie es war ein Kind zu sein?

FRAU: (verneint) mm mm?

SPIEGEL: Ruhig, Billie. Schließe die Augen und atme weiter. Ein und Aus. Jetzt erinnere dich an deine Kindheit. Weißt du noch, dass Gefühl des Wunderns? Konzentriere dich darauf wie es sich anfühlt: das Wundern. Bist du da? Du hast auf eine Klaviertaste gedrückt und ein Klang kam heraus und du warst erstaunt vielleicht auch schockiert, wie ein fremder Zauber, oder? Dein Papa ist mit so einem komischen Staubsauger über die schöne Wiese gefahren und hat alle Blumen aufgesaugt und die schwarzen Flecken auf den Seiten von Mamas Büchern erzählten plötzlich Geschichten. Kannst du dich erinnern, Billie? Wie schön das war! Jeden Tag bist du durch eine Welt der Wunder getappt und hast sie mit Leichtigkeit entdeckt. Jetzt stell dir vor, es hat nie aufgehört, die Wunder sind immer noch da, du hast dir nur verboten sie wahrzunehmen. Sie zu Sehen. Okay? Du kannst das, wundere dich, dann ist unsere Begegnung nicht angsteinflößend, sondern interessant, spannend, ein leichtes Kribbeln, ein Schuss Champagner, wenn du eine reifere Metapher wünscht.


FRAU: Ganz ruhig Billie, du schaffst das. Ja, ich glaube ich schaffe das. Oh, ist das Merkwürdig, sehr merkwürdig.

SPIEGEL: Schön, wusste ich es doch. Du hast das Zeug dazu. Bei deinem Namen. Eine Sybille. Eine Seherin.

F: Billie bitte. Sybille kann ich nicht ausstehen, das ist ein schrecklicher Name. Wer heißt denn so?


S: Ahh da haben wir es schon: dein Problem. Du willst anders sein und darunter leidest du. Dabei bist du feinfühlig genug, um mit dem Universum schmunzeln zu können. Du bist traurig darüber, dass du nicht aufwachst, in mich hineinschaust und da eine Andere hinausblickt.


F: Bist du etwa mein Spiegel?


S: Ja, wenn du willst bin ich dein Spiegel.


F. AH!!! Ich war schon tausend mal nackt vor dir, du Schwein, wo ist ein Handtuch oh Gott ist das peinlich…


S. Na na, nicht wieder hyperventilieren. Indem du das Rechteck verdeckst wirst du mich auch nicht los, also entspanne dich. So kleinlich heutzutage, als ob mich Nacktheit schockieren könnte, Billie

F. Was soll das heißen, das Rechteck? Ich dachte du bist mein Spiegel?


S. Ich bin nicht der Spiegel, ich bin das Spiegeln. Ich bin auch nicht dein Spiegel ich bin die Summe allen Spiegelns, die Reflexion, das Reflektieren.

F. Jetzt bin ich auch noch verrückt. Super gelaufen.

S. Du bist viel gesünder als du denkst, dass kannst du mir glauben, ich begegne ihnen allen. Alle spiegeln sich, immer ständig, aber die meisten tun immer so beschäftigt, weil sie gar nicht sehen wollen. Es ist ein gutes Zeichen, wenn du dich mit mir unterhalten kannst. Du wünscht dir doch immer, dass es aufhört, diese Fixierung auf deinen Körper, herauszufinden, wer du bist, mehr zu sein, als der Platz der dir zugewiesen wird in dieser Gesellschaft. (spricht roboterartig) Nimm nur nicht zu viel Raum ein, Billie, oder verdiene mehr Geld, Billie, erfülle deine Pflichten und sehe dabei möglichst hübsch aus, Billie. Was wundert ihr euch, dass sich so viele wünschen anders zu sein, ihr habt ja gar keine Zeit mehr, euer wahres Selbst zu erleben.

F. Hopp Zwo drei vier, Kompanie zwo drei vier, das ist Militärkultur, das ist Militärkultur. - seufzt- ja, wenn die Patrouille naht. (Pause) Aber eine Andere sein wollen, ich weiß nicht. Ne, das ist es nicht. Wäre bestimmt krasser als mit meinem Spiegel oder was auch immer zu reden. Ich will schon ICH sein, aber besser, optimierter. Glaube ich. So ausgesprochen finde ich das auch immer komisch, aber dieses “einfach zufrieden sein“ dieses „lieb sein“, dass ist nun auch nicht meine Realität.


S. Du quälst dich, weil du Anderen gefallen willst, nicht dir selbst. Du verschwendest dich, dein Wunder des Seins, indem du enttäuscht bist über dich. Du leidest, weil du dich spiegelst, aber nicht in dich hineinsiehst.

F. Ich sehe nicht in mich hinein?

S. Sich spiegeln geht nicht nur in Spiegeln, sondern auch auf der Wasseroberfläche, in Schaufenstern und Sonnenbrillen, also in reflektierenden Oberflächen, ist klar, oder? Du Spiegelst dich aber auch in den Menschen, die dich begleiten oder dir auf die Nerven gehen. In in deinen Entscheidungen, was du trinkst, isst, welche Musik du hörst, was du kaufst, ob du Lebend- oder Tot-Mausefallen verwendest und ob du während du die Falle aufstellst daran glaubst, dass Elefanten Angst vor den Winzlingen haben, weil sie in ihre Rüssel kriechen können, obwohl sie in Wahrheit von den Dickhäutern zertrampelt werden. So ein Elefant wäre also eine Tot-Mausefalle, interessant, nicht? Du könntest so ein Rüsseltier in deine Zwei-Zimmer Wohnung holen und warten, bis die vorrat-knabbernde Maus zerquetscht wird, weil du deine Nahrung nur teilst, wenn das Nagetier im Käfig auf der Kommode lebt. Kontrolle und Macht, das sind die schlimmsten Trübungen des Spiegelns. Deshalb sehen auch so viele nicht mehr in mich hinein.

F. Hä, des check ich jetzt nicht?


S. Gut, dann ein einfacheres Beispiel. mmhh Ihr Menschen seid doch so Versessen auf die Beschleunigung der Fortbewegung, nicht? Also nehmen wir das Auto. Professor Keltner führte ein Experiment durch, dass den Effekt eines teuren Autos auf die Psyche verdeutlichte. Zuerst wurden die Teilnehmenden in eine Klapperkiste gesteckt. Damit fuhren die dann rum. Unter anderem kamen sie an einem Zebrastreifen vorbei, den eine Fußgängerin überqueren wollte. Die Klapperkisten hielten alle höflich an. Nachdem die Gruppe in einen teuren Mercedes oder in einen glänzenden BMW gesetzt wurden, drückten 45% auf das Gaspedal und ignorierten die Abmachung am Zebrastreifen anzuhalten. Ego-Karosserie gleich Ego-Verhalten.

F. Krass.

S. Kommt noch krasser. Besagter Professor Keltner erkannte, dass dieses Verhalten einer nicht erblichen antisozialen Persönlichkeitsstörung ähnelte. Diese Störung tritt häufig bei Menschen auf, die einen schweren Schlag auf den Kopf erlitten, der das Gehirn beschädigte. Sie wurden dadurch impulsiver, selbstsüchtiger, egoistischer, selbstverliebter und grobschlächtiger als der Durchschnitt. Ein amerikanischer Neurologe untersuchte die Gehirne von mächtigen und weniger mächtigen Menschen und bestätigte das Ganze nochmal: Mächtige Menschen benehmen sich, als hätten sie einen schweren Hirnschaden erlitten und verhalten sich schamlos antisozial, weil ihnen die Empathie abhanden gekommen ist. Warum? Weil die Gefühle der Macht einen mentalen Prozess stören, der in der Wissenschaft auch als „Spiegelung“ bekannt ist.


F. Ah da haben wir es!


S. Ja, da haben wir es – die Trübung des Spiegelns. Menschen sind Spiegelwesen. Wenn in der U-Bahn die Frau mit den Einkaufstüten gähnt, verspürst du den selben Drang und willst deinen Kiefer lockern. Wenn viele Menschen tanzen und lachen, verändert sich was und ihr tanzt und lacht zusammen. Den Menschen fällt es leichter in Bibliotheken zu lesen und auf beliebten Joggingstrecken ihre Runden zu drehen. Ihr spiegelt euch in allem und ständig. Das Spannende ist, mächtige Menschen spiegeln sich seltener. Es scheint, als wären sie von den Anderen abgetrennt. Und diese „Mächtigen“ habt ihr zu euren Vorbildern auserkoren. Ihr opfert euer Leben für eine Kultur, indem antisoziales, egoistisches, machtgetriebenes Verhalten gleichgesetzt mit Anerkennung und Glück ist. Im Prinzip wünscht sich die Mehrheit einen Hirnschaden. Schräg. Sehr schräg. Kann nicht bestreiten, dass mich das auch amüsiert. Und natürlich auch betrübt. Ihr versucht euch abzutrennen und versteht nicht, warum alle so depressiv sind? Beginnt euch zu spiegeln! Schaut in euch hinein, verbindet euch. Du beginnst dich im Fruchtwasser deiner Mutter zu spiegeln, bis zum letzten Atemzug deines Seins. Ob du hinsiehst, ist deine Entscheidung.


F. Mmmh. Heftiges Zeug. Ich soll also mehr hinsehen. Okay… Warum fällt mir das so schwer? (Pause) Ich glaube, ich hänge zu sehr am Materialistischen, an der Hülle. Obwohl. Eigentlich vergesse ich die meiste Zeit, was da alles so an mir dranhängt und in mir rumhängt. Mmm, mein Körper ist die meiste Zeit gar nicht im Vordergrund. Nur wenn ich krank bin oder eine Mücke mich gestochen hat, dann drängt er sich auf, der Körper, aber im Idealfall ist es ganz leicht diesen, meinen Apparat zu tragen. Seltsames Gefühl. Kennst du das, wenn du Wörter flapsig benutzt und dann kommt es dir plötzlich so komisch vor? flaaapsig. flappsig. flapsig. Oder Spiegel, Spiegel, Spiegel du musst es nur öfter aussprechen, dann wird es schon sehr komisch. So fühlt sich das an, diese Leichtigkeit des Körpers und diese Gewichtung, sobald ich vor einen Spiegel trete, ein Video oder Foto von mir sehe…


S. Ah, siehst du, es wird schon besser. Vom Fruchtwasser bis zum letzten Atemzug, die Welt ein Spiegel-Kabinett.


F. Kabinett, Kabinett. Die Welt ein Spiegelkabinett.


S. Gebrochen in kleine Teile, dem Auge einer Fliege gleichend. Ein Facettenauge, ja. Bei den Libellen besteht das Auge sogar aus vielen zehntausenden von Einzelaugen – und alle zusammen ergeben ein Bild. Ist das nicht schön? Ein Hinweis im Kleinen, eine Gebrauchsanweisung, wie das Große funktioniert.


F. Mmmh. Ja, das ist schön. Auf der Welt sein und sich in den Spiegeln sonnen und durch ganz viele kleine Augen entsteht ein großes klares Bild. Dieses Bild zeigt mir, wer ich bin, meine Essenz. Dann ist es logisch, dass es nicht nur um das Außen gehen kann, nicht nur um das Feste, dass ich mich auch geistlich oder seelisch spiegeln soll, oder? Äh Spiegel? Wie heißt du denn überhaupt, hast du einen Namen?


S. Ach einen Namen brauche ich nicht, aber gut, dann nenne mich mmmmh Rentner!

F. Was? Das ist doch kein Name?! HAhaha, Rentner… sehr komisch!


S. Wieso? Ich finde Rentner ist ein sehr schöner Name. Die Menschen, die sich so nennen, haben eine besondere Verbindung zum Spiegeln, das mag ich. Es ist nicht immer fröhlich, dass gebe ich zu, die Meisten sind damit überfordert, aber es gibt nichts traurigeres als es zu verpassen.

F. Was zu verpassen?


S. Zu verpassen, herauszufinden, wer du bist auf dieser wunderbaren Welt. Hast du denn nicht zugehört? Aber was erwarte ich, deine Generation ist eine Generation der Ablenkung und so viele vergöttern diese Ablenkung, weil sie Angst haben. Ja und die Rentner, die haben die größte Ablenkung hinter sich, die müssen sich nicht mehr beweisen, dass sie auf der Welt sein dürfen, wirklich SEIN dürfen und können sich, wenn sie es noch schaffen, ihrem Spiegeln widmen. Das ist was Schönes, finde ich. Nenne mich also Rentner.

F. Haha, ja die werden in Ruhe gelassen, weil die Zeit tickt und sie nicht mehr so viele Chancen übrig haben. Tick Tack Tick Tack Na, sind ja nicht nur Rentner, die sich den Spiegeln verschreiben. Aber sie haben weniger Druck von außen, dass stimmt.

S. Alle dürfen selbst entscheiden, wie viel Druck sie wahrnehmen wollen.

F. (abgelenkt) haha was? So wie in Loriots Film „Papa ante Portas“, wo Herr Loose im Ruhestand anfängt tausende Senfgläser zu kaufen, weil er gar nicht weiß, wer er ist, ohne Schreibtisch.


S. Bloß, dass der Humorist Loriot, ein Meister im Spiegeln war und sehr nah an seinen Kern des Seins gekommen ist.


F. mmhmmm da hast du Recht, du Rentner, ne mal im Ernst, das geht so nicht, suche dir bitte einen richtigen Namen aus, ja?


S. Gut, dann nenne mich Bob.

F. Bob haha was? Das wird ja immer besser..


S. Warum, ein Palindrom-Name. Ein Spiegel Name. Wie Rentner.

F. Wie Palindrom? Was hat das mit Rentnern zu tun?


S. Na, sprich doch mal Rentner rückwärts aus..

F. RENTNER. Oh verstehe. (singt) wie war das bei Dada? Du bist hinten wie von vorne A N N A.


S. Ne, Anna habe ich nicht gesagt.


F. Oh, sorry, das ist ein Lied. Ein Palindrom- Name also. Gut, dann nenne ich dich halt so. Schön dich kennen zu lernen, Bob.


S. Freut mich auch, Sybille.


F. Du bist schon sehr fixiert auf diesen grausigen Namen. Ich sagte doch ich mag Sybille nicht.


S. Schade, du bist nach einer großen Seherin benannt, deswegen kannst du mit mir Sprechen, aber ja Ablenken, Nachahmen, Billie sein wollen und nicht Sybille.


F. Ein große Seherin?


S. Die Grottenbewohnerin


F. okay?


S. Es wird erzählt, dass die heilige Grotte von Cumae als Pforte zur Unterwelt galt und Priesterinnen unter dem Geist der wahrsagenden Sibylle, nekromantische Totenbefragungen durchführten.


F ääääähh (angeekelt) Nekro was?


S. Nekromatik ist eine Praktik der Totenbeschwörung oder Erweckung. schhht konzentriere dich!


F. Oh okay.


S. Es wird berichtet, das vor dem Orakel von Delphi, diesem mystischen Ort der Innenschau, die Prophetin Sybille bei einem Felsen saß und im Gegensatz zu anderen, unaufgefordert die Zukunft weissagte. Im zweiten Jahrhundert leitete das Orakel, der Felsenstein der cumäischen Sibyllen die Weltpolitik des römischen Reiches. Die Schönsten Abbilder der Sibyllen findest du in der sixtinischen Kappelle von keinem geringeren als Michelangelo. Eine Seherin und ein Spiegel zugleich. Seit der Antike steht der Name Sybille allgemein als Bezeichnung für die weibliche Prophetinnen des Verborgenen. Auch in der POP Literatur lebt dein Name weiter, heißt doch die Wahrsagerin in Harry Potter: Sybill Trelawney . Ein gewaltiger, ein kraftvoller Name. Welch Ehre ihn tragen zu dürfen! Und du willst dich nach einer Sängerin umbenennen.


F. Habe ich noch nie drüber nachgedacht. Eine Seherin und ein Spiegel. Manchmal bin ich einfach zu kurzsichtig.


S. Sei nicht so streng mit dir. Ich beobachte diese Erde seit Anbeginn der Zeit und das ist ein Problem deiner Generation. Alles ist so schwer geworden. Das Geschenk des Lebens, dich auf dieser Erde zu entdecken ist irgendwie umgekippt, verfault. Mit euch ist was passiert. Ihr unterdrückt euch. Ihr steht unter Druck. Ihr müsst alle individuell sein, habt angeblich alle Freiheiten, (stockt) na gut, die Zeit vor euch war auch streng, aber frei seit ihr nicht, eher verwirrt. Das Hineinsehen bedeutet nicht Vermüllung durch Materialismus. Das Reflektieren bedeutet nicht das Abstecken von Komplexität. Du bist nicht eine Wiederholungsschleife, die Du jeden Tag, Woche für Woche abarbeitest. Du bist auch nicht die Zahl auf deinem Konto, nicht die Orte, die du bereist, nicht die Stunden, die du verschlafen hast. Ihr seid gefangen im Begehren, ich wünsche dies und jenes und ich definiere mich durch die Summe der erfüllten und unerfüllten Begierden. bla bla bla

Erblindet werdet ihr geblendet, wenn andere um euch so tun, als hätten sie sich gefunden, oder vielleicht haben sie das ja auch, aber wenn du blind bist, spielt es keine Rolle, du kannst nicht sehen, ob die Person nah an dem Kern des Sein ist oder nicht. Du weißt nicht wer du bist und beginnst zu begehren, was andere haben. Mimetisches Begehren nennt sich das. Du begehrst nicht, du imitierst das Begehren deines Gegenübers. Du siehst „Billie Eilish“ und willst Billie sein. Weil du glaubst Sybille will keiner, aber wie sollen dich andere wahrnehmen, wenn du dich nicht selbst erkennen kannst. Oder du siehst Billie und willst Billie löschen. „Die ist doch fett, die Klamotten sehen auch scheiße aus, mit so grünen Haaren, voll lächerlich..und überhaupt Musik ist das nicht, voll der Teenie-Kram“. Du beginnst alles künstlich schlecht zu reden, damit du glauben kannst, dass du erhabener bist als das primitive Begehren, was dahinter liegt: Nämlich das Verlangen zu imitieren, zu bewundern, auch so attraktiv zu sein, gesehen zu werden von tausend kleinen glänzenden Augen, wie Billie Eilish auf einem Pop-Konzert. Begehren und Neid, zwei vergiftete Schwestern.

F. mmmh.

S. Du Sybille?


F. Ja, Bob?


S. Ich laufe schon an. Ich gehe jetzt besser wieder zurück in das Klare, okay? Viel zu anstrengend eure Welt…


F. Oh. Okay. Schade. Können wir uns öfter unterhalten, Bob? Gibt es irgendeine Formel, wie ich dich rufen kann?


S. Nein, dass solltest du nicht versuchen. Sonst bleibst du an einer Sache kleben und du vergisst die Vielfalt.

F. Du hast doch so einen komischen Satz am Anfang gesagt, so eine art Zauberformel?


S. si se non noverit?


F. Ja! Damit kann ich dich bestimmt rufen.


S. Nee, das ist eine Prophezeiung. Die Prophezeiung für Narziss! Wenn dann kannst du mich durch das Widerspiegeln finden. Wie gesagt, ich bin nicht der Spiegel, sondern das Spiegeln.


F. Mmmmh, okay. Erzählst du mir noch, was die Prophezeiung von Narziss ist, bevor du dich verabschiedest?


S. Kennst du die Geschichte nicht?


F. Bin mir nicht mehr sicher..


S. Narziss ist ein junger Mann von zauberhafter Schönheit, der in allen Begehrlichkeit erregte, aber alle abwies, weshalb er als kalt und hochmütig angesehen wurde. Siehst du Sybille? Mimetisches Begehren gab es schon damals. Besitzen wollen und dadurch zerstören, wie die gepflückte Blume. Nun gut, Narziss erblickt eines Tages sein Spiegelbild im Wasser und verliebte sich in dieses. Und dann dämmerte es ihm und er erkannte sich selbst. Iste ego sum - dieser da bin ich und dann starb er und an seiner Stelle blühte eine wunderschöne Blume, eine Narzisse.

F. Das ist aber keine schöne Geschichte. Und die Prophezeiung?

S. Kommt darauf an, wie du die Geschichte interpretierst. Die Prophezeiung gab der Seher Tiresias Narziss´s Mutter. Diese fragte ihn, ob ihr Sohn ein hohes Alter erreichen würde und Tiresias antwortete: si se non noverit – wenn er sich nicht erkennt. Solange sich Narziss nicht erkennt, wird er auch nicht sterben.


F. Er wird also für seine Eitelkeit bestraft? Deshalb blicken Menschen in den Spiegel und verabscheuen sich?


S. -Seufzt- Wenn du magst, kannst du es so sehen.

Oder du nimmst es als Selbsterkenntnis war, losgelöst von äußerlicher Schönheit, er erkennt sein wahres Sein und stirbt.

F. Oh, dass ist aber traurig!

S. Oder schön. Wir sind am Leben, um uns zu reflektieren, in unendlichen Facetten, mit allen Erfahrungen und wenn wir uns wahrhaftig erkannt haben, sterben wir. Es gibt also zwei Tode, einen, sagen wir mal, „natürlichen“, weil das die Spielregeln sind, das Spielfeld des Lebens ist begrenzt und hört irgendwann, irgendwie auf. Und einen, bei dem du das Spiel gewinnst, indem du dich wahrhaftig erkennst und dann ist es logisch, dass du das Spiel nicht mehr weiterspielst, schließlich hast du es gewonnen. Vielleicht hinterlässt du dann eine Blume auf dieser Erde.

F. Bob?

S. Ja?


F. Bist du das Universum?


S. Würde sich das Universum Bob nennen?


F. Ja, warum nicht? Wenn das Universum unendlich ist und deshalb auch alles und nichts zugleich, dann kann das Universum auch ein rechteckiger Rentner namens Bob sein.


S. Wenn du es so sehen willst. Ich bin ja im Moment auch deine Spiegelung. Nun Gut. Bis dann, Sibille, VERITAS IN TE EST!

(Veritas in te est - Die Wahrheit liegt in dir)


F. Nein, Bob, Rentner,…!


Klack.


Da stehe ich wieder, vor dem reflektierenden Rechteck. Sonst nichts. Was hat er gesagt? Die Welt ein Spiegelkabinett, gebrochen in kleine Teile, das Auge einer Fliege gleichend. Ein Facettenauge aus zehntausenden von Einzelaugen – und alle zusammen ergeben ein Bild. Ein Hinweis im Kleinen, eine Gebrauchsanweisung, wie das Große funktioniert. Mal sehen, ob wir uns wieder begegnen. Bob und ich.


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