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06 - Andy Warhol


campbells dosensuppen andy warhol

Kapitel 6.

Dosensuppen, Stars und die Factory.



Alias Hallodri Podcast Folge

 

1962 war Andys Jahr. Innerhalb kürzester Zeit fand er seine eigene Bildsprache und schaffte den Sprung von der Werbung in die bildende Kunst. Die berühmte Campbell-Suppendosen-Serie wurde veröffentlicht.


 

Ich begebe mich auf eine geistige Zeitreise und stelle mir vor, dass ich im Jahr 1962 in einer New Yorker Galerie vor Warhols Campbell‘s Soup Cans stehe. Das Motiv ist mir bereits bekannt, da die Fertigsuppen aus der Dose zu dieser Zeit in vielen amerikanischen Supermärkten erhältlich sind. Eine von ihnen könnte sogar in meinem Küchenschrank darauf warten, von mir erwärmt und gegessen zu werden. Der Doseninhalt steht im Fokus, doch den Behälter würde ich unbeachtet in den Müll werfen. Nun wird genau dieser Gebrauchsgegenstand zu etwas Besonderem und ausgestellt.


Als Besucherin und Kunstliebhaberin, die sich auf den Weg in eine Galerie gemacht hat, um dem Alltag zu entfliehen und die schönen Künste zu genießen, werde ich nun mit Supermarktprodukten konfrontiert. Das schreit nach Provokation. Warum empfindet jemand eine billige Dosensuppe als motivwürdig? Nimmt mich der Künstler auf den Arm? Oder soll ich erkennen, dass auch die nebensächlichen Dinge im Leben schön sein können?


Zugegeben, irgendwie, das Ganze hat Humor. Dieser Warhol hat sich tatsächlich die Mühe gemacht, die von mir unbeachtete Dose in aufwendigen Arbeitsschritten anschaulich und plakativ auf die Leinwand zu bringen. Muss er sich nicht mehr Gedanken dazu gemacht haben, als sich nur einen kleinen Scherz erlauben zu wollen? Schließlich wäre es wesentlich einfacher gewesen, die Dosen aus dem Supermarkt auf einen Sockel zu stellen, ähnlich wie Duchamp es schon mit einem Urinal getan hat.


Je länger ich mich damit auseinandersetze, desto mehr verdüstert sich der anfänglich eher erheiternde Gedanke. Es wird mir schmerzlich bewusst, dass vieles geplant, gestaltet und konstruiert ist: Werbung, Schaufenster, Fernsehen und auch die harmlose Dosensuppe, sieht nicht zufällig so aussieht, wie sie aussieht.


Jemand hat Geld und Zeit investiert, damit diese Dose ansprechend wirkt und mich zum Kauf anregt. Durch ästhetische Gestaltung soll der Inhalt schmackhaft für mich gemacht werden. Ebenso wie das Abbild der Dose von Andy Warhol nun auf einer Leinwand präsentiert wird, sind auch die Dosen im Supermarkt ansprechend drapiert worden. Plötzlich fühle ich mich beklemmt.


Werde ich manipuliert, ohne es zu merken, oder treffe ich dennoch meine freien Entscheidungen? Werde ich nicht auch durch den Galeristen manipuliert, weil er für mich entschieden hat, dass genau das kunstwürdig ist? Plötzlich scheint das Thema viel mehr Tiefgang zu haben, als ich es anfangs für möglich gehalten hätte.


 

In diesem Textabschnitt aus meiner Studienzeit, erwähne ich den Künstler Marcel Duchamp, der ein entscheidender Wegbereiter für die Pop-Art ist.


urinal r.mutt marcel duchamp kunst moderne

Bereits 1917 reichte er ein handelsübliches Urinal aus einem Sanitärgeschäft unter dem Namen „R. Mutt“ (also nicht unter seinem eigenen Namen) zur Ausstellung bei der Society of Independent Artists in New York ein. Eine absolute Frechheit.


Doch dieses Urinal zählt heute zu den Schlüsselwerken der modernen Kunst, weil Duchamp eine wichtige Tatsache sichtbar machte: Kunst ist eine Idee des Menschen. Das sogenannte Ready-made (englisch für „Fertigware“) oder auch Objet trouvé (französisch für ‚gefundener Gegenstand‘) ist ein Alltags- oder Naturgegenstand, der zum Kunstwerk „gemacht“ wird, indem der Künstler ihn „findet“ und zum Kunstwerk erklärt.


Ich finde, Duchamps Handlung war noch riskanter und bahnbrechender als die Soup Cans von Warhol. Im Vergleich dazu fuhr Warhol auf einer ziemlich sicheren Schiene, was ihm ja auch angeblich „wichtig“ war, um ein gutes Business zu führen. Vielleicht hatte Duchamp auch ein wenig Muffensausen und unterschrieb deshalb mit „R. Mutt“, um eventuell doch noch einen Rückzieher machen zu können :). Wichtig ist, dass Alltagsgegenstände schon einen Platz in der Kunst gefunden haben. 


 

Außerdem verfolgte ich den Gedanken der Manipulation durch Medien und Werbung. Heutzutage ist das leichter nachzuvollziehen, doch im Kontext der 50er- und 60er-Jahre war es sicherlich überwältigend. Computer und Fernsehen steckten noch in den Kinderschuhen, aber sie nahmen immer mehr Einfluss auf die Gesellschaft. Damit mussten die Menschen erst einmal klarkommen.


Wie verstörend musste es für Menschen aus der bürgerlichen Mitte gewesen sein, wenn jemand viel Geld damit verdiente, ihre billige Dosensuppen-Verpackung zu kopieren und als Kunst zu verkaufen? Oder fühlte sich die bürgerliche Mitte endlich gesehen und repräsentiert, weil ihre Alltagswelt dadurch als kunstwürdig galt?


Andy Warhol, Green Coca-Cola Bottles 1962
Andy Warhol, Green Coca-Cola Bottles 1962


Das ist das Fantastische an diesem Land: in Amerika ist es von jeher so, dass auch der reichste Verbraucher im Wesentlichen das gleiche kauft wie der ärmste. Du siehst Coca-Cola im Fernsehen und kannst sicher sein, dass der Präsident seine Cola trinkt, dass Liz Taylor Cola trinkt – und du selber kannst du auch eine Cola trinken!


Coca-Cola ist und bleibt Coca-Cola, und für kein Geld der Welt kannst du irgendwo eine Kohle herkriegen, das besser wäre, als das, was der Penner an der nächsten Ecke trinkt. (…)


In Europa haben die Könige und Aristokraten früher sehr viel besser gegessen als die Bauern – sie haben überhaupt nie das Gleiche gegessen. (…)


Manchmal denkt man, dass reiche Leute, also die ganz oben, etwas haben, was man selber nicht hat, und dass ihre Sachen besser sein müssen, weil sie mehr Geld haben. Aber sie trinken das gleiche Coca-Cola und essen den gleichen Hotdog (…).


Die Reichen können auch keine schauerlichere Version von der Exorzisten, du kannst genau die gleiche Abscheu empfinden wie sie und genau die gleichen Albträume haben, das ist alles ganz typisch amerikanisch. Die amerikanische Philosophie ist wunderbar – je gleiche etwas ist, desto amerikanische ist es auch.

- Andy Warhol

 

In seinem berühmten Atelierbetrieb The Factory begann Andy Warhol, mithilfe zahlreicher AssistentInnen, eine Vielzahl von Bildern zu produzieren, hauptsächlich per Siebdruckverfahren. Schon der Name „Factory“ für ein Kunst-Atelier war provokativ, humorvoll und gleichzeitig eine treffende Beschreibung dessen, was dort geschah. Die Bezeichnung spiegelte die amerikanische Wirtschaft wider: Massenproduktion, billige Arbeitskräfte und geringe Anforderungen an die Qualifikation der Arbeitskräfte.


Factory Panorama with Andy, (1966), Nat Finkelstein.
Factory Panorama with Andy, (1966), Nat Finkelstein.

Die Factory war ein offener Ort, an dem viele Menschen ein und aus gingen, oft exzentrische Gestalten aus der Undergroundszene. Es war nicht nur ein Produktionsort für Kunst, sondern auch ein kulturelles Zentrum, das den Geist der Zeit auf eine einzigartige Weise einfangen und reflektieren konnte.


Police stop a dancing party at Andy Warhol’s Factory 1964
Police stop a dancing party at Andy Warhol’s Factory 1964

Als Picasso starb, lasse ich in der Zeitung, dass er in seinem Leben 4000 Meisterwerk geschaffen hat, und ich dachte: sowas. Das könnte ich in an einem Tag schaffen.


Ich fing also damit an: und musste feststellen: sowas. Es dauert mehr als ein Tag, 4000 Bilder zu machen. So wie ich sie mache, mit meiner Technik, dachte ich nämlich wirklich, ich könnte 4000 an einem Tag machen. Und es wären auch alles Meisterwerke, weil es immer das gleiche Bild wäre. Und ich fing an und brachte es bis auf 500, und dabei ließ ich es.


Das dauerte schon mehr als einen Tag, ich glaube, es dauerte einen Monat. Bei 500 im Monat hätte ich ungefähr acht Monate für 4000 Meisterwerke gebraucht – um Raum-Künstler zu werden und Räume zu füllen, die, wie ich meine, eigentlich sowieso nicht gefüllt werden sollten. Es war sehr desillusioniert und für mich, als ich feststellen musste, dass ich dazu so lange brauchen würde.

- Andy Warhol




Andy Warhol and Gerard Malanga make a painting 1964





 
Quellen:
  1. Warhol, Andy: Die Philosophie des Andy Warhol von A bis B und zurück. Fischer Taschenbuch Verlag. Frankfurt am Main, 2009. S. 98 ff
  2. Warhol, Andy: Die Philosophie des Andy Warhol von A bis B und zurück. Fischer Taschenbuch Verlag. Frankfurt am Main, 2009. S.

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